Eine Glosse von Thomas Mohnke nach dem Original von Reinhard Müller, FAZ, am 14.1.2025

Die Ordnung ist bewährt. Doch die Verwaltung darf nicht herrschen, sondern soll dem Bürger dienen.

Neu denken-das klingt immer gut. Es ist aber leicht gesagt, denn auch der größte (Quer-)Denker sieht durch seine Brille und schleppt Erfahrungen oder Vorstellungen mit, von denen er sich kaum freimachen kann. Schwierig ist das auch im Fall von Strassenverkehrsämtern und anderen Behörden rund um Personenverkehr, denen naturgemäß eine gewisse Trägheit eigen ist.

Aber das Überkommene ist nicht schon deshalb reformbedürftig, weil es von gestern ist. Gerade bewährte Grundregeln sollten bleiben, aber sie müssen Raum lassen für neue Herausforderungen und technologische wie gesellschaftliche Weiterentwicklungen.

Das bedeutet, dass jeder dem Gemeinwohl Verpflichtete auch ständig die Pflicht hat, zu prüfen, ob die Regeln zur Bewältigung der alltäglichen Aufgaben und insbesondere auch der neuen Bedürfnisse und Möglichkeiten taugen. Das deutsche Personenbeförderungsgesetz verlagert nahezu sämtliche Verwaltungsentscheidungen auf die kommunale Ebene mit dem Ergebnis, dass mehrere hundert Städte und Landkreise im Grunde genommen parallel die gleiche Arbeit machen. (Deutschland hat 107 kreisfreie Städte und 294 Landkreise). Die erwartungsgemäß unterschiedlichen Auslegungen von Rechtsvorschriften bergen ein enormes Streitpotenzial zwischen örtlichen Unternehmen und Behörden.
Der Föderalismus ist freilich kein L’art pour L’art, sondern gelebte Demokratie, ausgehend von der örtlichen Gemeinschaft, die ihre Angelegenheiten selbst und eigenverantwortlich lösen will. Ein grundsätzliches Problem besteht darin, dass die Deutschen zwar einerseits keinen Zentralstatt wollen, aber den Föderalstatt auch nicht durchgängig ernst nehmen.
Unverständliche, einander widersprechende Vorschriften, unnötige Pflichten und Behördengänge lähmen das Land. Wer versteht, warum es in Deutschland weiterhin hunderte unterschiedliche, behördlich genehmigte Taxitarife gibt, während 250g Butter, ein VW-Golf und das Deutschlandticket praktisch überall denselben Preis haben? Wer versteht, warum Mietwagen (also Chauffeurfahrzeuge zur Fahrgastbeförderung) rund ein Drittel ihrer Kilometer leer zum Betriebssitz zurückfahren müssen, weil örtliche Behörden keine Ausnahmen von der Rückkehrpflicht zulassen? Wer versteht, warum in einem Mietwagen für über zweitausend Euro ein Wegstreckenzähler eingebaut sein muss, ohne jemals benutzt zu werden? Die Liste kann Abend füllend verlängert werden, wie jeder Unternehmer der Branche weiß.

Natürlich braucht eine komplexe, technisierte Gesellschaft Regeln, gerade auch zur Sicherheit und zum Verbraucherschutz. Aber es muss nicht jedes Gewässer eingezäunt, jedes Buch mit einem Sicherheitshinweis und jeder Strumpf mit einem durchgehenden Lieferkettennachweis versehen werden. Gerechtigkeit bedeutet nicht die Produktion von Dokumenten oder Arbeitsbeschaffung für Anwälte. Ohne jedes Risiko kann man weder leben noch wirtschaften – abgesehen davon, dass irgendwer ein solch hoch abgesichertes, rundum versichertes Volksheim auch bezahlen muss.
Die Taxi- und Mietwagenunternehmen in Deutschland sind mit etwa einhunderttausend Fahrzeugen unterwegs, verteilt auf rund 25.000 (zumeist) Kleinstunternehmen. Die kommunal angesiedelte, parallel und zumeist noch völlig analog arbeitende Verwaltung kostet den Staat 200.000.000 Euro (ja, zweihundert Millionen Euro) im Jahr. Rein rechnerisch bedeutet das rund 8.000 Euro staatliche Verwaltung im Jahr für Doppel- und Dreifacharbeit ohne sinnvolle Zentralisierung, ohne abgestimmte digitale Strukturen. Rechnen wir die Folgekosten in den Unternehmen nur in derselben Höhe dazu, was deutlich unter den Realwerten liegt, könnten die Löhne der hart arbeitenden Fahrerinnen und Fahrer ohne diesen Bürokratismus bedeutsam angehoben werden. Kein Fahrgast müsste nur einen Cent mehr bezahlen.
Interessiert es eigentlich irgendjemanden, dass die deutschen Kommunen, ja, richtig gehört, diejenigen, die hier die Doppel- und Dreifacharbeit analog verrichten, im letzten Jahr schon per 30. September ein Defizit von 24,9 Milliarden Euro aufgebaut hatten? (FAZ 11.1.25)
Ob in Brüssel, Berlin, der Landeshauptstadt oder im Landkreis, die Verwaltung hat nur eine Funktion: dem Bürger zu dienen und ihn auch zu schützen, natürlich, aber vor allem, ihn erst einmal machen zu lassen. Der Bürger ist kein Bittsteller, Verfahren dürfen nie Selbstzweck sein. Danach muss sich der öffentliche Dienst ausrichten, der ja nicht ohne Grund so heißt.
Digitalisierung ist dazu ein Mittel, geradezu ein Geschenk. Aber Digitalisierung bedeutet nicht das elektronische Hin- und Herschicken und am besten noch Ausdrucken von Dokumenten. Sondern, richtig verstanden: Vereinfachung, Beschleunigung, mehr Wirksamkeit. Oder wer kann verstehen, dass ein einfacher Antrag auf Erteilung einer Verkehrsgenehmigung in einer Kommune (nehmen wir hier Berlin) nach 15 Monaten noch immer nicht beschieden ist? Der Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt nach zehn Monaten noch nicht bearbeitet ist (nehmen wir Hamburg) oder die einfache Anfrage der Zulässigkeit, ein seit Jahrzehnten vorhandenes Büro für ein anderes Unternehmen weiterhin als Büro zu nutzen ein Jahr dauert (nehmen wir München)? Oder -um das Fass zum Überlaufen zu bringen: der Austausch eines konzessionierten Fahrzeuges in den Dokumenten der Strassenverkehrsämter zwei Monate dauert?
So ist denn kein Umsturz im Staatsaufbau nötig, auch keine neue Flut von Bürokratieentlastungsgesetzen, sondern nur ein neuer Geist. Der Gesetzgeber sollte stärker die Ziele setze, pauschale Regelungen erlassen und etwa mit der Fiktion der Genehmigungen konsequent arbeiten. Die Verwaltung muss so ausgebildet werden, dass sie nicht Probleme produziert, sondern stets den Zweck vor Augen hat, zu einer bürger- und unternehmensnahen, möglichst zügigen Lösung zu kommen. Damit ist allen gedient.

 

(Anm. d.Autors: Dieser Artikel basiert auf einem Kommentar das verantwortlichen Redakteurs für Zeitgeschehen bei der FAZ vom 14.1.2025. Herr Müller möge mir verzeihen, seinen exzellenten Artikel um die Lebenswirklichkeit der Taxi- und Mietwagenbranche in Deutschland angepasst zu haben und auf diese Weise die Verbreitung)