Die Kernfunktionalität von Städten, ein Raum des Austausches zu sein, wird dadurch gefährdet. Flächendeckende Alternativen zum motorisierten Individualverkehr (MIV) sind nicht in Sicht.
Der öffentliche Verkehr als Alternative steckt in der goldenen Falle der Daseinsvorsorge. Eine Grundfinanzierung wird gewährt, aber nur als Alibiveranstaltung für eine ungehemmte Autoförderung.
Im Zeichen digitaler Plattformen und automatisierter Fahrfunktionen – Stichwort Robotaxi – lassen sich ganz neue Verkehrsangebote entwickeln, die den Bedarf an privaten Autos praktisch obsolet werden lassen. Dazu müssen aber alte Zöpfe im Denken der deutschen Verkehrslandschaft abgeschnitten und neue Wege betreten werden.
Funktionsprobleme moderner Städte
Der Wesenskern von Städten sind Marktplätze. Städte sind in erster Linie Orte des Austauschs. Dazu braucht es Vielfalt, Zugänglichkeit, Ambivalenz, aber auch Regeln, Kalibrierungen, digitale und physische Beweglichkeit.
Die Nachkriegszeit im Städtebau stand nicht nur in Deutschland unter dem Diktat der Vorstellungen moderner Stadtentwicklungen, die eine funktionale Trennung in gelockerter Bebauung als Ziel der Planungen deklarierte.
Damit wandelten sich die Stadtkerne zu Transiträumen. Die Aufenthaltsqualität von Plätzen wurde der Funktion der Raumüberwindung geopfert.
Obwohl bereits in den 1950er Jahren klar wurde, dass damit das menschliche Maß nicht mehr angemessen abgebildet werden konnte, blieben die Folgen dieser Infrastrukturentscheidungen bis heute in ihren Wirkungen dominant. Mit dieser Zurichtung bekam das Auto als Verkehrsmittel eine Dominanz, die bis heute nachwirkt und die Kernfunktion der Städte bedroht.
Privilegien des Autos sind nicht mehr aufrechtzuerhalten
Die Erfahrungen der Pandemie haben zudem gezeigt, dass der entfernungsintensive Lebens- und Arbeitsstil an Attraktivität eingebüßt hat. Die Fahrleistungen des motorisierten Individualverkehrs gehen zurück.
Dennoch liegt der Anteil des Autos in Deutschland immer noch zwischen 35 und 45 Prozent bei den Fahrleistungen und zwischen 20 und 40 Prozent bei den Wegen. Dabei sitzen in einem Auto zurzeit im Schnitt nur 1,1 Personen, und das bei einer täglichen Betriebszeit von maximal zehn Prozent des theoretisch Möglichen.
Gleichzeitig nehmen die Fahrzeuge für das Fahren und das Abstellen rund 80 Prozent der verfügbaren Verkehrsflächen in Anspruch.
Es ist absehbar, dass Städte diese Privilegien für das Auto, die bislang von sehr vielen genutzt werden und als Gewohnheit praktisch fest im kollektiven Bewusstsein aller Bewohner einbetoniert sind, so in Zukunft nicht weiter aufrechterhalten können.
Denn für andere Verkehrsmittel fehlt im wahrsten Sinne der Raum, die Versiegelung der öffentlichen Fläche ist zu hoch und vor allen Dingen hat der Wirtschaftsverkehr keinen Platz. Die Vitalität der Städte leidet.
Öffentlicher Verkehr in der „Daseinsvorsorge-Falle“
Wovon man in der politischen Debatte Abschied nehmen muss, ist die Idee, dass der öffentliche Verkehr in der klassischen Form des nach Fahrplan getakteten und liniengeführten Betriebes von Großgefäßen das Rückgrat einer Alternative sein kann.
Man stellt bei der Analyse der öffentlichen Bus- und Bahnverkehrsangebote rasch fest, dass Busse und Bahnen nur noch unter bestimmten Bedingungen und auch nur in hochverdichteten Großstädten relevante Mengeneffekte erzielen.
Die bereits angesprochene Entwicklung im modernen Städtebau der Nachkriegszeit – nämlich die vorgefundene Stadtstruktur auseinanderzubrechen, zu lockern und funktional zu trennen – hatte für den öffentlichen Nahverkehr erhebliche Konsequenzen. Denn damit ging auch die Konzentration der Verkehrsströme verloren.
Mit der seit der Pandemie beobachteten Pluralisierung der orts- und zeitflexiblen Arbeitsformen, die faktisch das Ende des Standardarbeitszeitmodells bedeuten, verlieren Busse und Bahnen noch weiter an Relevanz. Sehr viele Menschen gleichzeitig von A nach B zu transportieren, wird in einer modernen Gesellschaft eher zur Ausnahme als zur Regel.
Hinzu kommt: Die Massenmotorisierung mit Autos bleibt auch nicht ohne Wirkung „im Kopf“. Wer daran gewöhnt ist, dann loszufahren, wann er oder sie es möchte und dabei auch selbst die Routenplanung zu bestimmen, steigt nicht mehr ohne Weiteres in den Bus oder Zug ein.
Vor allen Dingen dann nicht, wenn Busse und Bahnen nur in geringer Frequenz fahren und außerhalb der Schulzeiten sowie an Sonn- und Feiertagen noch seltener – was selbst in Ballungsräumen der Fall ist. Die von der Autonutzung erlernten und gewohnten Nutzungsprofile lassen sich durch Busse und Bahnen nicht mehr einfach nachbilden.
Nur dann besteht Hoffnung, wenn diese großen Fahrzeuge einen Vorteil gegenüber dem Auto aufweisen können, wenn also die Fahrt schneller, einfacher und bequemer ist – und dies in hoch verdichteten Stadtregionen und bei Pendlerrelationen rund um Ballungsräume.
Der Marktanteil des öffentlichen Verkehrs stagniert daher seit Jahren. In Deutschland sind es nach der neusten Erhebung „Mobilität in Deutschland“ durchschnittlich 18 Prozent.
In Städten unterhalb einer Größe von 250.000 Einwohnern fällt der Anteil des öffentlichen Verkehrs dann sehr drastisch ab und liegt bei etwas über zehn Prozent. In ländlichen Räumen sind es nur fünf Prozent, wobei der Anteil derjenigen Passagiere, die keine Fahrerlaubnis für Autos besitzen, über 95 Prozent beträgt. Der Schatten der Autogesellschaft ist also immer noch groß.
Intransparentes Finanzierungsgeflecht
Neben diesen strukturellen Folgen der gesellschaftlichen Differenzierung kommt zum Gesamtproblem noch hinzu, dass in Deutschland der Nahverkehr unter dem politischen Programm der erwähnten Daseinsvorsorge steht.
Kurz gesagt bedeutet dies: Der Staat kümmert sich um eine ausreichende Bedienung mit Bussen und Bahnen und finanziert den Löwenanteil der Kosten. Allerdings ist dabei nicht festgelegt, was genau „ausreichend“ bedeutet.
Es gibt keinen Anspruch auf eine definierte Leistungsmenge oder -qualität. Die Menschen sind davon abhängig, was es sich die Länder und Kommunen kosten lassen. Der Bund erbringt den größten Anteil der Finanzierung, die über die Länder an die Kommunen ausgezahlt und mit kommunalen Eigenmitteln ergänzt wird, damit ein öffentlicher Nahverkehr angeboten werden kann.
Entstanden ist ein sehr dichtes, aber auch völlig intransparentes Geflecht von Finanzierungs- und Zuständigkeitsstrukturen. Denn die Länder reichen das Geld vom Bund nicht einfach an die Verkehrsunternehmen weiter, sondern haben in den letzten Jahrzehnten eine sehr aufwendige Verwaltung für die Vergabe der Mittel aufgebaut.
Dabei sind mehr als achtzig Einrichtungen in Form von Zweckverbänden und Verkehrsverbünden entstanden, die für die Verteilung und insbesondere für die sogenannte „Bestellung“ der Verkehrsleistungen des Verkehrs zuständig sind. Damit ist gemeint, dass diese Verwaltungseinheiten genau definieren, was wann wo zu welchen Bedingungen an Bussen und Zügen fährt.
Diese Leistungen werden dann in aller Regel in einem Wettbewerbsverfahren ausgeschrieben – mit dem Ergebnis, dass die Verkehrsunternehmen, die den Betrieb des Verkehrs gewonnen haben, an dem einmal definierten Leistungsprofil über die gesamte Laufzeit des Vertrages nichts Wesentliches mehr ändern dürfen, weil sonst der unterlegene Wettbewerber auf dem Klageweg eine Neuausschreibung verlangen könnte.
So kann kein Gegenentwurf zum Auto entstehen
Es braucht nicht viel Fantasie, um festzustellen, dass mit dieser politischen Konstruktion kein dynamisches Gegengewicht zum Auto entstehen kann. Der Wettbewerb, um die öffentlichen Mittel für den Betrieb zu erhalten, dreht sich letztlich nur um die Kosten.
Ideen für innovative Angebote lassen sich jedoch nicht messen und in der Regel auch nicht bewerten. Damit ist dieses System von jeglicher unternehmerischer Initiative sozusagen befreit. Die Unternehmen sind zu Lohnkutschern heruntergestuft worden, denn allein in den Behörden wird festgelegt, wie ein gutes Angebot aussieht.
Und dies folgt immer derselben Regel: Männer, die alle selbst Auto fahren, definieren mit Geld, das ihnen nicht gehört, Angebote und Tarife, die keiner versteht – was aber auch nicht auffällt, weil sie kaum einer nutzt.
Wie hoch dabei der Kostendeckungsgrad ist, also welchen Anteil die Einnahmen von den Kunden an den Gesamtausgaben haben, darüber gibt es tatsächlich keine verlässlichen Zahlen. Branchenintern gilt, dass die Gesamtkosten zu etwa 70 Prozent öffentlich finanziert werden.
Es kann sie also nicht geben, die Revolution im öffentlichen Verkehr. Die Konstruktion der Daseinsvorsorge ist tatsächlich mehr fürsorglich gemeint, eröffnet aber eben keinerlei unternehmerische Perspektive und lässt den öffentlichen Personenverkehr noch heute so aussehen wie vor 50 Jahren.
„On-demand“ als unternehmerische Aufgabe
Die Grundordnung des Personenverkehrs könnte in Zukunft im Zielzustand folgendermaßen aussehen: Die Grundversorgung bleibt beim öffentlichen Verkehr, der sich auf seine Kernfunktionen konzentriert, den Betrieb von Bussen und Bahnen.
Diese wiederum konzentrieren sich auf Schüler und Auszubildende sowie auf große Verkehrsmengen, die Takte von fünf bis zehn Minuten erlauben. Der Betrieb erfolgt weiterhin in der gewohnten öffentlich-rechtlichen Struktur. Damit ist der Einsatz von Bahnen auf große und dichte Städte begrenzt.
Parallel dazu wird ein On-demand-Verkehr angeboten, also ein Verkehr auf Abruf, der rein privatwirtschaftlich betrieben und verantwortet wird. Er wird überall dort angeboten, wo Großgefäße mit der genannten hohen Taktfolge nicht möglich sind, weil sich Verkehrsströme nicht oder nicht mehr bündeln lassen.
Wünschenswert ist eine Kombination von individueller Verfügbarkeit und schnellem Transport in Großgefäßen.
Faktisch wäre dieser On-demand-Verkehr durch ein Mietwagenangebot mit unterschiedlichen Fahrzeugtypen auf digitalen Plattformen zu realisieren. Regulierungstechnisch bleibt es bei den bisherigen Formalien des Mietwagengeschäfts mit P‑Schein und Lizenzpflicht.
Es sollten keine Vorschriften zur Bepreisung der Leistungen gelten, also auch keine Regelung für Mindesttarife oder Ähnliches. Eine Rückkehrpflicht entfällt oder wird im Rahmen der Festlegung des Bediengebiets geregelt.
Um die augenblicklichen Auseinandersetzungen zwischen Taxi- und Mietwagendiensten dem Gesamtziel unterzuordnen, sind Bedingungen zu schaffen, die beide Produktlinien auskömmlich im Sinne einer Verkehrswende ermöglichen.
Der „Markenkern“ des Taxis konzentriert sich dazu auf Angebote an markanten öffentlichen Punkten, die spontan genutzt zu werden und für wichtige Relationen innerhalb des Stadtgebiets reserviert bleiben. Behördlich regulierte Taxipreise wären ausschließlich auf diesen eng begrenzten Bereich zu konzentrieren.
Kerngedanke ist es, ein massentaugliches, leistungsfähiges Bedienangebot zu schaffen, das von Unternehmen mit Gewinnabsicht betrieben wird. Behördliche Regulierungen sollen sich auf die Rahmenbedingungen, aber nicht auf Elemente der zu erbringenden Qualität der Dienstleistung konzentrieren. In dem Feld wären dann auch die Einsatzgebiete für Robotaxis.