- Das Auto verliert für die Deutschen an Bedeutung, die Fahrzeuge werden immer weniger gefahren.
- Zwischen 2013 und 2023 sank der Anteil des motorisierten Individualverkehrs in 7 von 9 Landeshauptstädten, teils um bis zu 11 Prozentpunkte.
Artikel aus dem Tagesspiegel
Der Autoverkehr verliert in vielen Landeshauptstädten an Bedeutung
Neue Daten der Studienreihe „Mobilität in Städten“ zeigen, wie sich die Bedeutung verschiedener Verkehrsmittel in den deutschen Landeshauptstädten verschiebt. Innerhalb von zehn Jahren kam es teilweise zu drastischen Veränderungen. Nicht immer profitierten davon alle nachhaltigen Fortbewegungsmittel des Umweltverbunds gleichermaßen.
Das Auto wird für die Deutschen zunehmend zu einem Back-up-Verkehrsmittel für den Fall der Fälle. Zwar steigt die Zahl der Pkw insgesamt Jahr für Jahr, gefahren werden die Fahrzeuge aber immer weniger (Background berichtete). Der Bedeutungsverlust des Autos zeigt sich jedoch nicht nur in den Millionenmetropolen, sondern auch in vielen der kleineren Landeshauptstädte. Auf der anderen Seite legt dort der Umweltverbund aus Fuß-, Rad- und öffentlichem Nahverkehr zu – wenn auch in unterschiedlicher Zusammensetzung.
Das belegen Berechnungen von Tagesspiegel Background auf Grundlage neuer Daten der Studienreihe „Mobilität in Städten“, die die Technische Universität Dresden vor Kurzem veröffentlicht hat. Im aktuellen Durchgang 2023 haben insgesamt 500 Städte und Gemeinden mitgemacht. „Die Zahl der teilnehmenden Städte ist immer größer geworden“, freut sich Stefan Hubrich, Leiter des Projekts an der TU Dresden. Die steigenden Teilnahmezahlen seien von großem Nutzen für die Städte und die Wissenschaft, deren Datenbestand für die Forschung damit wachse.
Eine Pflicht zur Teilnahme an Mobilitätserhebungen gibt es für deutsche Kommunen nicht, für die Kosten müssen sie in den meisten Bundesländern selbst aufkommen. Die Zusammensetzung des Panels verändert sich deshalb stets. Von 16 deutschen Landeshauptstädten haben neun an allen drei vergangenen Erhebungen von „Mobilität in Städten“ teilgenommen. In den meisten dieser Städte sank die relative spezifische Verkehrsleistung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) zwischen 2013 und 2023.
Motorisierter Individualverkehr sinkt in vielen Landeshauptstädten
Gemeint ist mit der Maßzahl der MIV-Anteil an den zurückgelegten Kilometern pro Person und Tag. Alle folgenden Zahlen beziehen dabei die Wege von Einwohner:innen sowie Pendler:innen und Besucher:innen mit ein. Die Studienreihe erhebt die Daten jedoch auch nur für den Binnenverkehr der Einwohner:innen. In Dresden fiel der Bedeutungsverlust des MIV, zu dem der Autoverkehr, aber auch Fahrten etwa mit Motorrädern zählen, besonders stark aus. 2013 lag der MIV-Anteil an den jeweils zurückgelegten Kilometern dort noch bei 61 Prozent. In der aktuellen Erhebung waren es nur noch 50 Prozent.
Im Gegenzug stiegen in Dresden innerhalb von zehn Jahren jeweils die Anteile von Fuß-, Rad- und öffentlichem Nahverkehr (ÖPNV) an der Verkehrsleistung. Der Prozentsatz der zu Fuß zurückgelegten Kilometer hat sich seit 2013 sogar mehr als verdoppelt. Fahrten mit E-Scootern dem Umweltverbund zuzurechnen, ist anhand der Daten nicht möglich. Die Studienreihe schlägt E-Scooter dem MIV-Anteil zu, obwohl diese hinsichtlich der genutzten Infrastruktur und Nachhaltigkeit eher dem Radverkehr ähneln.
Die Stadt Dresden sieht die Entwicklung der Verkehrsmittelanteile als Beleg für einen erfolgreichen „multimobilen Ansatz“, bei dem man den Umstieg zwischen ÖPNV und Bike- sowie Carsharing an sogenannten Mobi-Punkten fördere. „Zudem wirken eine integrierte, dichte Stadtentwicklung in Verbindung mit der Stärkung lokaler Zentren stark auf die Förderung des Fußverkehrs“, teilt eine Sprecherin der sächsischen Landeshauptstadt Tagesspiegel Background mit.
Umweltverbund wächst nicht überall gleichmäßig
Auch in sechs weiteren Landeshauptstädten ging die relative Verkehrsleistung des MIV zwischen 2013 und 2023 deutlich zurück: In Erfurt und Kiel sank sie um rund zehn Prozentpunkte, in Düsseldorf und Berlin lag der Rückgang bei rund acht Prozentpunkten. In Magdeburg nahm der MIV-Anteil um etwa sechs Prozentpunkte ab, in Bremen um vier. „Das konsequent angewendete Planungsprinzip Stadt der kurzen Wege oder 15-Minuten-Stadt scheint zu greifen“, sagt Achim Kintzel vom Erfurter Tiefbau- und Verkehrsamt über die Entwicklungen in der Hauptstadt Thüringens.
In Erfurt haben ebenfalls alle Elemente des Umweltverbunds von 2013 über 2018 bis 2023 zugelegt. Das gelang nicht allen untersuchten Landeshauptstädten. Das Plus der nachhaltigen Fortbewegungsmittel im Zeitverlauf entstand an manchen Orten trotz eines relativen Rückgangs der mit Bussen und Bahnen zurückgelegten Kilometer. Diese Rückschritte wurden aber mitunter durch den starken Zuwachs des Fuß- und Radverkehrs überkompensiert. Das war etwa in Bremen der Fall, wo der Anteil des öffentlichen Nahverkehrs schrumpfte, der Radverkehr hingegen stark wuchs.
Schwächelnder ÖPNV behindert Wachstum des Umweltverbunds
Ein Sprecher der Bremer Senatorin für Bau, Mobilität und Stadtentwicklung, Özlem Ünsal (SPD), sieht in der ungleichen Entwicklung aber kein Misslingen der Bremer Verkehrspolitik: „Dies hat damit zu tun, dass die Verkehrsleistung insgesamt gesunken ist.“ Das liege wiederum daran, dass Bremer:innen seit der Coronapandemie häufiger im Homeoffice arbeiten und insgesamt mehr kürzere Wege zurücklegen würden. Die Frage, ob die vielen rechtswidrig zugeparkten Bremer Gehwege (Background berichtete) das vergleichsweise schwache Wachstum des Fußverkehrs erklären, beantwortet der Sprecher nicht.
Schwerin und Potsdam sind zwei Ausreißer unter den analysierten Landeshauptstädten. In Schwerin war der MIV-Anteil an der Verkehrsleistung zwischen 2013 und 2018 zunächst gestiegen, von rund 69 auf 73 Prozent. Bei der vergangenen Erhebung ging er wieder auf 69 Prozent zurück. Auch in Schwerin wuchsen die Anteile des Rad- und Fußverkehrs, letzterer besonders stark. Der ÖPNV hingegen verlor an Bedeutung. Für Geert Böcker, Verkehrsplaner bei der Stadt Schwerin, lag der Einbruch vor allem an den Einschränkungen während der Coronakrise. Diese hätten auch 2023 noch zu starken Fahrgastverlusten geführt.
„Die Landeshauptstadt Schwerin wertet es als Erfolg, dass in den letzten Jahren das Vertrauen der Nutzer in den städtischen Nahverkehr zurückgewonnen werden konnte“, sagt Böcker. Inzwischen habe man wieder die Fahrgastzahlen von vor der Pandemie erreichen können. „Eine weitere ganz wesentliche Verbesserung wird die Einführung des in Vorbereitung befindlichen Verkehrsverbundes sein“, gibt sich Böcker optimistisch. Der Verkehrsverbund Westmecklenburg soll in diesem Sommer an den Start gehen und das Bus- und Bahnfahren mit abgestimmten Fahrplänen, durchgehenden und günstigeren Tickets attraktiver machen.
Potsdam beklagt mangelnden Einfluss auf längere Autofahrten
In Potsdam stagnierte der Anteil des motorisierten Individualverkehrs 2023 auf dem Niveau von 2013 – rund 52 Prozent. Zwischenzeitlich hatte die Bedeutung des Autoverkehrs schon einmal abgenommen, dieser Effekt hielt jedoch nicht an. Auch in Potsdam wuchsen trotzdem die Anteile einzelner Elemente des Umweltverbunds: Der Anteil des Radverkehrs an der Verkehrsleistung verdoppelte sich sogar innerhalb von zehn Jahren. Die Stadt beobachtet unterschiedliche Entwicklungen des Autoverkehrs je nach Entfernungsklasse.
„Darin ist zu erkennen, dass insbesondere auf kürzeren Wegen das Auto immer weniger genutzt wird“, erklärt eine Sprecherin der brandenburgischen Landeshauptstadt. Auf Strecken mit über zehn Kilometer Länge sei der ÖPNV-Anteil hingegen rückläufig: „Genau diese Abnahme hat in gleicher Weise zu einer Zunahme beim MIV geführt.“ Der öffentliche Nahverkehr habe sich in Potsdam erst 2024 wieder von Corona erholt. Im Jahr zuvor – in dem die Erhebung überwiegend stattfand – hätten zudem Streiks den Bahnverkehr negativ beeinflusst.
Die Sprecherin der Stadt Potsdam räumt auch ein, dass man die gewählten Verkehrsmittel auf längeren Strecken nur bedingt beeinflussen könne. „Beispielsweise ist Potsdam sehr gut an das Autobahnnetz der Bundesrepublik Deutschland angebunden, hat aber keinen ICE-Anschluss“, sagt sie. Tatsächlich sind Städte beim Fernverkehr stark abhängig von der Verkehrspolitik der Länder und des Bundes. Wie letzterer seine Prioritäten zwischen den Verkehrsträgern setzt, ist noch unklar. Die Entwicklungen in den Landeshauptstädten zeigen jedenfalls: Der Bedeutungsverlust des Autoverkehrs geht über Millionenmetropolen hinaus.